Überschätzt – Unterschätzt

Freiheit

Die Seite wurde Ihrer Lesezeichenseite hinzugefügt. Klicken Sie auf das Menüsymbol, um alle Ihre Lesezeichen anzuzeigen. Die Seite wurde von Ihrer Lesezeichenseite entfernt.
Freitag, 08. März 2024

«Die Macht der Freiheit», schrieb der Schriftsteller Ernst Jünger in seinem Tagebuch, «ist so gewaltig, dass schon der Traum von ihr genügt.» Da ist etwas dran. Doch als jugendlicher Berufsrevoluzzer wollte ich mich nicht mit geträumten Freiheiten abspeisen lassen, die mir von der Obrigkeit gewährt wurden oder die ich mir untertänigst zu erlauben geruhte. Hatte nicht der Dichter Bertolt Brecht gelehrt, dass die «kleinen Freiheiten die Feinde der grossen Freiheit sind»?

Heute dämmert mir: Solche markigen Sätze sind leichter hingeschrieben als gelebt. Freiheit verträgt sich selten mit Gleichheit und schon gar nicht mit Brüderlichkeit, denn jeder heutzutage ist als Lobbyist in eigener Sache unterwegs und verfolgt stets nur seine eigenen Interessen.

Die Freiheit ist vor allem aber ein äusserst riskantes Unternehmen, eine Existenz ohne Netz und doppelten Boden. Es reicht eben nicht nur, die Freiheit zu erkämpfen, man muss sie hernach auch aushalten können.

Je freier der Mensch lebt, desto mehr Bürden an Verantwortung muss er sich aufladen. Die Pflichten überwiegen die Privilegien. Das wussten die bibelfesten Reformatoren von Calvin über Luther bis Zwingli nur zu gut. Religiöse Behaglichkeit sieht anders aus, als am Tag des jüngsten Gerichts vor Gott Rechenschaft über seine Taten abzulegen.

Im 1. Petrusbrief steht geschrieben: «Unterzieht euch um des Herrn willen jeder menschlichen Ordnung, sei es dem Kaiser als der obersten Autorität, sei es den Statthaltern als den Autoritäten, die von ihm ermächtigt sind.» Ein ganz schön schwieriger Spagat: Wir sollen als freie Menschen agieren, «aber nicht als solche, die ihre Freiheit als Deckmantel für die Bosheit benutzen, sondern als Knechte Gottes».

Vielleicht sind die Schweizer die grössten Freiheitsprofis. Der Gründungsmythos der Schweiz geht immerhin zurück auf den heimatverbundenen Freischärler Wilhelm Tell. Ihre Fürsten haben sie davongejagt und sich über Bünde organisiert. Weiterer Freiheitshelden hatte es danach offensichtlich nicht mehr bedurft. Heute verbindet die Welt mit dem eidgenössischen Staat vor allem die Steuerfreiheit, das Bankgeheimnis, die Neutralität und eine unerschütterliche Solidität.

Friedrich Dürrenmatt war das dann doch zu eng. Er verglich die Schweiz mit einem Gefängnis: «Weil alles ausserhalb des Gefängnisses übereinander herfiel und weil sie nur im Gefängnis sicher sind, nicht überfallen zu werden, fühlen sich die Schweizer frei, freier als andere Menschen, frei als Gefangene im Gefängnis ihrer Neutralität.» – Offenbar lebt es sich so ganz gut.

  • Warum so zaghaft?

    N° 2/2024

    CHF14.00 inkl. 2.6% MwSt.
    In den Warenkorb