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Bilder: Nicolas Zonvi
Freitag, 26. Mai 2023

Schwarzweiss gibt es hier nicht. Der Holzboden ist voll mit Farbklecksen, die Vorhänge sind himmelblau und die Künstlerinnen tragen Kleidung in Orange, Türkis und Violett. Vor allem aber leuchten knallbunte Bilder von Wänden, Staffeleien und Arbeitstischen: Portraits von Eisbären, lachende Krokodile, Collagen, abstrakte Gemälde. Das kleine Malatelier im Zürcher Kreis 5 ist an Farbtönen so vielfältig wie die Künstlerinnen, die hier verkehren: Suchtkranke, Obdachlose, Bedürftige.

Friederike Rass hat diesen Ort für ein Treffen ausgewählt. Seit etwas mehr als einem Jahr leitet sie das Sozialwerk Pfarrer Sieber. Die 38jährige Theologin ist angetreten, Ernst Siebers Kampf für «Nächstenliebe für Bedürftige» fortzuführen. Fünf Jahre ist es her, seit der weit über Zürich hinaus bekannte Gassenpfarrer gestorben ist. «Kämpft weiter, ich hab’s heiter» steht auf seinem Grabstein.

Rass mag das Malatelier nicht nur wegen der Wärme, die es ausstrahlt. «In diesem Raum spielt es keine Rolle, wer du bist», sagt sie. «Menschen sind hier nicht Patienten, sondern Künstler.» Der Rollentausch schaffe gute Bedingungen für Begegnungen auf Augenhöhe.

Ein Künstler und eine Künstlerin sind an diesem Tag da. An einem Arbeitstisch steht Michi, ein Mann mit grauen, schulterlangen Haaren, Stoppelbart und einem Pullover, auf dem eine Maus mit Krone im Weltall schwebt. Als Rass zu ihm geht, zeigt er ihr Steine, die er gesammelt hat und die er hier im Atelier farbig bemalen will. «Schau, die Linien sehen aus wie Schlangen», sagt er, während er mit seinem Zeigefinger an einem noch unbehandelten Stein entlangfährt. Er ist sich sicher, dass so etwas Geheimnisvolles nicht durch natürliche Vorgänge entstanden sein kann. «Das haben unsere Vorfahren gemacht, glaubst du nicht?»

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